Verzweiflung – Gertrud von Helfta.

Gertrud von Helfta ist auch als Gertrud die Große bekannt. Der Straßwalchner Künstler Rudolf Brudl hat sie als eine von drei TheologInnen ausgewählt und für die Ausstellung „Den Heiligen Farbe geben“ interpretiert. Jutta Blühberger aus Strobl hat dazu einen Vorstellungstext geschrieben.

Bild und Text sind Teil der Ausstellung „Den Heiligen Farbe geben“ in der Kollegienkirche Salzburg. Sie wird am 30. Oktober um 14 Uhr mit einer Vernissage eröffnet. 

Vernissage: Sonntag 30. Oktober 2022 um 14 Uhr. 

Ausstellungsdauer: 30. Oktober bis 20. November 2022.

Gertrud von Helfta wird im Rahmen der Ausstellung "Den Heiligen Farbe gebe" in der Kollegienkirche Salzburg durch Bild und Text auf Augenhöhe geholt.
Verzweiflung – Gertrud von Helfta (1256 – 1301/2), Acryl auf Leinwand, 100 x 140 cm © 2022 Rudolf Brudl, www.rudolf-brudl.com

Gertrud von Helfta (1256 – 1301/2)

Gestatten, mein Name ist Gertrud, genannt „die Große“, obschon ich doch nur eine einfache Nonne im Kloster Helfta bin. Nachdem ich fast mein ganzes Leben in diesem Kloster verbracht habe, ist es nicht verwunderlich, dass ich auch als Getrud von Helfta bekannt bin. Meine Eltern haben mich bereits im zarten Alter von fünf Jahren dem Kloster übergeben. Für mich war das eine wunderbare Führung. Denn im Kloster werden meine Begabungen geschätzt und gefördert. Ich erhalte eine außerordentlich gründliche humanwissenschaftliche und religiöse Ausbildung. Mechthild ist eine wunderbare Lehrerin und Mentorin. 

Mitten in meinen Studien der freien Künste, die ich mit großer Begeisterung verfolge, gerate ich in eine schwere geistliche Krise. Nach einem Monat begegnet mir Gott in dieser Finsternis. Ich habe meine erste mystische Erfahrung und begreife, dass all die menschliche Wissenschaft die geistliche Erkenntnis nicht ersetzen kann. Mir wird bewusst, dass diese Studien so wunderbar und interessant sie auch sind, mich vom Wesentlichen abhalten. So wird aus mir statt einer Buchgelehrten eine Gottesgelehrte, die nach wahrer Weisheit strebt.

Diese mystische Begegnung mit Gott, der meine Dunkelheit erhellt, führt zu einer radikalen Neuorientierung. Meine Gottesbeziehung vertieft und entfaltet sich über die nächsten zehn Jahre immer mehr. Erst nach weiteren knapp zehn Jahren beginne ich, im Auftrag Gottes, die mir geschenkten Offenbarungen aufzuschreiben. 

Zusammen mit der Äbtissin Gertrud von Hackeborn, ihrer Schwester Mechthild von Hackeborn und Mechthild von Magdeburg erlebe ich einen wunderbaren theologischen Austausch und gegenseitige Befruchtung. Jede dieser wunderbaren Frauen hat selbst Visionen erhalten. Mechthild von Magdeburg hat bereits vor mir begonnen, ihre mystischen Erfahrungen aufzuschreiben. Mechthild von Hackeborn erzählt uns ihre Visionen mündlich – zu unserer Auferbauung –, und zusammen mit anderen Schwestern schreiben wir sie für sie auf. Auch die Äbtissin erlebt Erscheinungen, aber nach einem Schlaganfall kann sie nicht mehr sprechen. Ich weiß nur durch eine Offenbarung von ihren Erscheinungen. Auch ihr Tod wird mir durch eine Offenbarung angekündigt. 

Diese Schwestern und ich sind in gewisser Weise ein Theologinnen-Kreis im Kloster von Helfta. In weiterer Folge entwickle ich eine lebhafte literarische Tätigkeit. Unter anderem übersetze ich Teile der Bibel, schreibe Erbauungsbücher und Gebetsbüchlein. Mit Hilfe meiner Schwestern wird die Aufzeichnung meiner Offenbarungen ein fünfbändiges Werk namens „Botschaft von Gottes Güte“. Die Niederschrift nimmt 20 Jahre in Anspruch. Mein zweites Hauptwerk sind die „Geistlichen Übungen“. Darüber hinaus gibt es noch mehrere andere Werke, aber die meisten gehen im Laufe der Zeit verloren. Vor allem meine Hauptwerke schreibe ich in Latein. Sie werden erst im 15. Jhd. ins Deutsche übersetzt. 

Die Klosterleitung sorgt auch dafür, dass meine Offenbarungen schon früh von anderen Mitgliedern des Dominikaner- und Franziskaner-Ordens geprüft und approbiert werden.

Gott hat mich erwählt, die Geheimnisse seiner Liebe bekannt zu machen. Durch meine mystischen Erlebnisse mit Gott und die daraus entstandenen Erkenntnisse werde ich für viele Menschen zur Ratgeberin und Seelsorgerin. 

In Berichten über mein Leben werden die üblichen Tugenden erwähnt, die man von einer Klosterschwester erwartet. Meine Mitschwestern schätzen mich auch als Stütze des Ordenslebens. Sie bezeugen, meine brennende Liebe zu Gott, meine mitleidige Liebe zu Menschen, und mein unerschütterliches Vertrauen in Gottes Barmherzigkeit. 

All diese Gaben setze ich ein, um den Mitschwestern zu dienen – indem ich Wissen weitergebe, meine Schwestern belehre und ermahne, und mich bemühe, andere Menschen Gott näher zu bringen. Darüber hinaus bestätigt mich Gott in übernatürlicher Weise als Mystikerin. Ich erhalte immer wieder prophetische Weissagungen und erlebe Wunder. Auch meine Überzeugungskraft als Rednerin ist Gottes Gabe. All dies bestätigt Gott sogar in Offenbarungen an meine Mitschwestern. Aber sie bezeugen auch, dass ich eine demütige Begabte bin. Das bedeutet mir viel, denn Demut hat für mich einen hohen Stellenwert. 

Ich selber habe immer wieder Zweifel an dem Nutzen meiner Offenbarungen. Doch Gott schenkt anderen Offenbarungen, die meinen Weg bestätigen. In einer davon werden meine Einsichten als stabile Brücke zur Errettung bezeichnet, die anderen Menschen hilft, sicher zu Gott zu gelangen. Ein anderes Mal erläutert mir Gott, dass meine Schriften die Menschen zu einem größeren Verlangen nach seiner Gnade und zu einem besseren Leben anregen sollen. Das macht mich demütig und sehr dankbar, dass Gott mich zu seinem Sprachrohr erwählt hat. 

Was davon ist nun relevant fürs 21. Jhd.? Gott ist derselbe, damals wie heute. Er wünscht sich Menschen, die sich nach einer tiefen Beziehung zu ihm ausstrecken, auf seine Stimme hören und andere auf ihrem Glaubensweg anleiten. Der Lebensrhythmus der heutigen Zeit macht es schwieriger, wirklich Zeit in Gemeinschaft mit Gott zu verbringen. Mein Stil darüber zu sprechen ist wahrscheinlich überholt, aber das Anliegen bleibt und gilt nicht nur für Klosterschwestern. Nur Gottes Liebe kann unser tiefstes Verlangen stillen. 

Steckbrief

Geboren: 6. Januar 1256

mit fünf Jahren dem Kloster Helfta übergeben, 1280/1 geistliche Krise und Neubekehrung, 1289 Beginn der Niederschriften ihrer mystischen Erfahrungen

Gestorben: 17. November 1301/2

Gedenktag: 16. November

Attribute: Herz Jesu, brennendes Herz, Nonne, Buch, Kreuz, Feder, Kruzifix, sieben Ringe.

Zitate

“Gott ist höher und tiefer als alle Erkenntnis; nur die Liebe erreicht ihn.” 
“Je öfter für jemand gebetet wird, desto mehr Segen liegt auf ihm, denn kein gläubiges Gebet wird unerhört bleiben, wenn den Menschen auch die Art der Erhörung verborgen ist.”
“Ich kann auf Erden nichts finden, was mich erfreut, außer meinen Herrn.”

Gertrud von Helfta