Zuwendung – Ivo von Kermartin.

Der Schutzpatron der Richter und Anwälte, Ivo von Kermartin, gehört zu jenen Heiligen, die sich sehr für Benachteiligte eingesetzt haben. Jutta Blühberger aus Strobl thematisiert das in ihrem Kunstwerk mit dazugehörigem Vorstellungstext.

Die Künstler Rudolf Brudl aus Straßwalchen und Jutta Blühberger aus Strobl haben sich mit 12 Heiligen auseinandergesetzt, die für die Besucher der Ausstellung durch gemalte Kunstwerke und Texte lebendig gemacht werden. Die Ausstellung „Den Heiligen Farbe geben“ findet in der Kollegienkirche in Salzburg statt.

Vernissage: Sonntag 30. Oktober 2022 um 14 Uhr.

Ausstellungsdauer: 30. Oktober bis 20. November 2022.

Zuwendung – Ivo von Kermartin / Yves Hélory de Kermartin (ca 1247 – 1303), Marmormehlstruktur + Tempera + Öl + Wachs auf Keilrahmen, 100 x 140 cm * Marble Dust Texture + Tempera + Oil + Wax on canvas, 40 x 55 in * Pudre de marbre texture + tempera + huile + cire sur toile, 100 x 140 cm © 2022 by Jutta Blühberger www.juttabluehberger.at

Ivo Hélory von Kermatin (um 1247 – 1303)

Gestatten, Ivo oder Yves! Mit vollem Namen Ivo Hélory von Kermartin. Bretone. Schutzpatron der Richter und Anwälte in Europa und des Datenschutzes.

Bereits am Beginn meiner Studienzeit beschäftigt mich der Bettelordenstreit an der Sorbonne in Paris persönlich sehr. In dem Streit geht es um die Frage, ob die wahre Nachfolge Christi besser durch das Armutsideal der Dominikaner und Franziskaner oder durch den gehobenen Lebensstandard des reichen Weltklerus verwirklicht werden kann. Das fordert mich persönlich heraus. Denn schließlich stamme ich aus einer adeligen Familie und habe mehr Finanzen zu meiner Verfügung als viele meiner Kommilitonen. Die Argumente der Bettelorden bringen mich ins Nachdenken. Und ich beginne auf einer dünnen Streuschicht zu schlafen und verschenke meine Portion Fleisch an arme Leute. 

Einen weiteren wichtigen Anstoß erhalte ich von Johannes von Rupella. Sein Traktat überzeugt mich davon, dass ein Anwalt verpflichtet ist, die Mittellosen auch ohne Honorar zu vertreten, genauso wie ein Arzt verpflichtet ist, allen Kranken zu helfen. Rechtlicher Rat und anwaltliche Vertretung sind Spiritualia – etwas Geistiges wofür man im kirchlichen Kontext kein Geld verlangen darf. Dieser Maßstab ist ab da richtungsweisend für meinen Berufsethos und mein ganzes Leben. 

Nach dem Studium von Kirchenrecht in Paris und römischem Recht in Orléans, kehre ich in meine Heimat zurück. Zuerst arbeite ich als kirchlicher Richter in Rennes, später dann als juristischer Berater und Kirchenrichter in Tréguier, wobei ich direkt dem Bischof unterstellt bin. Parallel dazu werde ich zum Priester geweiht (trotz meines Widerstrebens) und erhalte die Pfarrei Tresdrez als Pfründe. Außerdem praktiziere ich als Anwalt. In meinen Aufgaben gilt meine besondere Aufmerksamkeit den Personae Miserabiles – den Hilfsbedürftigen. Später wechsle ich nach Louannec, wo ich die letzten zehn Jahre meines Lebens verbringe.

Wenn ein schärferes Urteil nötig ist, kommen mir oft die Tränen. Man sagt, dass diese Tränen ein Hinweis auf das Wirken des Heiligen Geistes sind, der mir göttliche Weisheit gibt. Diese geistgewirkten Entscheidungen entsprechen meinem Selbstverständnis als christlicher Priester-Richter. Auch bemühe ich mich mit Gottes Hilfe darum, wo immer möglich, Streit zu schlichten, sodass es zu keinem Gerichtsverfahren kommen muss. Mir ist bewusst, dass viele Reiche mit meinen Urteilssprüchen nicht einverstanden sind, weil sie sich eine Bevorteilung durch Geldgeschenke oder ihren gesellschaftlichen Status erhoffen. Aber in meiner Verantwortung vor Gott kann ich nur ohne Ansehen der Person Recht sprechen. 

Obwohl ich nie Mitglied der Franziskaner werde, ist sowohl meine Berufspraxis als auch mein persönliches Leben von ihrem Armutsideal geprägt. Dafür gebe ich gerne meine Vorrechte als Adeliger wie auch manche Bequemlichkeit auf. 

Auch im 21. Jhd. muss man kein Bettelmönch sein, um zu begreifen wie wenig der Reichtum und die Vorrechte des Klerus dem Evangelium entsprechen und zur Predigt unseres Herrn Jesus Christus passen. Ebenso ist der damals gültige Maßstab, was einen guten Anwalt ausmacht (lt. Aussage von Thomas von Aquin und Johannes von Rupella), nämlich persönliche Eignung, gerechte Sache, gehöriges Auftreten und ein frommer Sinn, durchaus bedenkenswert und relevant. 

Wenn Anwälte sich für Klienten einsetzen, nur weil sie sich Chancen vor Gericht und eine gute Entlohnung ausrechnen, dann ist das für mich mehr als fraglich, ob sie damit dem Maßstab eines guten Anwalts entsprechen und der Gerechtigkeit dienen, oder nur der eigenen Tasche. Das gleiche kann man sich bei vielen kirchlichen Würdenträgern fragen: folgt ihr Leben wirklich dem Vorbild Christi und dienen sie den geringsten Brüdern und Schwestern Jesu oder nur dem eigenen Ego und dem eigenen Geldbeutel? 

Meines Erachtens bietet dieser Grundsatz einen wertvollen Gedankenanstoß – nicht nur für Anwälte. Jeder kann sich bemühen, Benachteiligten zu helfen. Unsere Aussagen sollen immer Wahrheit und Güte kombinieren, und so mit Gerechtigkeit und Barmherzigkeit dem Vorbild Jesu folgen. Beides scheinen mir wichtige Aspekte, die gerade in schwierigen Zeiten oft unter den Tisch fallen, wenn jeder nur auf sein eigenes Wohl bedacht ist und Angst hat zu kurz zu kommen. 

Möge Gott uns auch in Zeiten der Pandemie und des Krieges, Anteilnahme für unseren Nächsten, ehrliches Suchen nach Gerechtigkeit und Barmherzigkeit schenken. Auch wenn sie zu unserem eigenen Nachteil sind. 

Steckbrief

Geboren: 17. Oktober, um 1247 in Kermartin, Diözese Minihy bei Tréguier in der Bretagne
Studium in Paris ab 1261 (Kirchenrecht), ab 1271 in Orléans (Römisches Recht), ab 1280 Kirchenrichter in Rennes, ab 1284 juristischer Berater in Tréguier, Priester und Pfarrherr in Tresdrez und Louannec
Gestorben: 19. Mai 1303 in Kermartin
Gedenktag: 19. Mai
Attribute: Buch, Geißel, Kelch, Schreibfeder, Schriftrolle, Strick

Zitate

„Advocatus, sed non latro“ – „Er war ein Anwalt, aber kein Gauner“ (Grabinschrift)
„Für Witwen, Waisen und andere erbarmenswerte Personen trat er unentgeltlich vor Gericht, machte sich ihre Rechte zu eigen, und bot sich – auch ungefragt – zu deren Verteidigung an.“ (Jean Kerhoz, Ivos Lehrer)
Ivos Beiname „Anwalt der Armen und Erbarmenswerten“ (Jean Kerhoz)

Jean Kerhoz