Barmherzigkeit – Martin von Tours.

Martin von Tours gehört zu den Heiligen, die dafür bekannt sind, dass sie sich für Benachteiligte einsetzten. Am bekanntesten ist die Geschichte, wo er als Soldat seinen Mantel teilt und eine Hälfte einem frierenden Bettler gibt. Jutta Blühberger hat sein Leben und seine Barmherzigkeit mit Bild und Text für die Ausstellung „Den Heiligen Farbe geben“ in der Kollegienkirche Salzburg thematisiert.

Die Künstler Rudolf Brudl aus Straßwalchen und Jutta Blühberger aus Strobl haben sich mit 12 Heiligen auseinandergesetzt, die dem Besucher der Ausstellung durch gemalte Kunstwerke und Texte näher gebracht werden.

Vernissage: Sonntag 30. Oktober 2022 um 14 Uhr. 

Ausstellungsdauer: 30. Oktober bis 20. November 2022.

Barmherzigkeit – Martin de Tours (ca 316 – 397), Marmormehlstruktur + Tempera + Öl + Wachs auf Keilrahmen, 100 x 140 cm * Marble Dust Texture + Tempera + Oil + Wax on canvas, 40 x 55 in * Pudre de marbre texture + tempera + huile + cire sur toile, 100 x 140 cm © 2022 by Jutta Blühberger www.juttabluehberger.at

Martin von Tours (um 316 – 397)

Gestatten, mein Name ist Martinus. Der Name des römischen Kriegsgottes Mars ist sehr passend für den Sohn eines römischen Militärtribuns und Offiziers. Geboren in Ungarn, aufgewachsen in Italien, bin ich gezwungen in die Fußstapfen meines Vaters zu treten. Also erst einmal die normale Schule der Rhetorik, dann Soldatendienst. Meine Eltern waren Heiden und trotzdem habe ich schon mit zehn Jahren das Verlangen ein Katechumene zu werden. Als ich zwölf bin, will ich Eremit werden.

Mit 15 werde ich dann Soldat, weil Söhne von Offizieren dazu gesetzlich verpflichtet sind. Trotzdem versuche ich mein Christsein, so gut es geht, zu praktizieren. So behandle ich z.B. meinen Burschen wie einen Bruder. Auch das Ereignis mit dem frierenden Bettler in Amiens, dem ich meinen halben Soldatenmantel schenke, geschieht in dieser Zeit. Man sagt mir nach, dass schon damals Barmherzigkeit und Menschenfreundlichkeit Teil meines Wesens sind. 

Immer wieder bitte ich um Entlassung aus dem Soldatendienst, doch das wird abgelehnt. Ich muss meine 25-jährige Dienstzeit ableisten. Erst danach kann ich Mönch werden. Zuerst lebe ich in einer Mönchszelle in Mailand, dann schließe ich mich einer kleinen Gruppe von Mönchen auf der Gallinara-Insel an. Schließlich werde ich in Poitiers zum Exorzisten geweiht. Die folgenden zehn Jahre verbringe ich in einer Einsiedelei in Ligugé, wo ich ein Kloster gründe (das allererste des Abendlandes). Dort erlebe ich sehr oft, wie Gott mein Beten und Fasten gebraucht, um Wunder zu bewirken. Es geschehen viele Heilungen und auch zwei Totenauferweckungen. 

Keine Ahnung, ob das der Grund ist, warum die Bevölkerung von Tours mich als Bischof haben will, obwohl sie mich kaum kennt. Eigentlich widerstrebt mir so eine öffentliche Aufgabe, aber der vox populi (Stimme des Volkes) kann ich mich nicht wirklich entziehen. Übrigens: die Geschichte mit den Gänsen wird erst 1000 Jahre später erfunden. Mir ist es trotzdem wichtig, so weit wie möglich, Mönch zu bleiben. Das tue ich, indem ich in einer Steinzelle neben der Kathedrale wohne und von einem Dreistuhl aus predige. Später ziehe ich in eine Holzzelle drei Kilometer außerhalb des Ortes. Daraus entsteht die Klostersiedlung Marmoutier, der sich immer mehr Brüder anschließen. Nach 20 Jahren sind es bereits 80 Brüder.

Natürlich kümmere ich mich trotzdem um die Aufgaben als Bischof. Ich nehme diese Verantwortung sehr ernst, auch wenn sie mich oft vom Beten und Fasten abhält. Das ist vermutlich der Grund, warum ich in dieser Zeit weniger Heilungswunder erlebe. Meine medizinischen Kenntnisse sind natürlich von Nutzen. Doch ohne Gebet und Fasten geht gar nichts. In schwierigen Fällen bete und faste ich sieben Tage lang, bis es zu einem Durchbruch kommt; z.B. als mich der Kaiser nicht empfangen will. In anderen Fällen erlebe ich Heilungen in Gott-geschenkter Spontanität; z.B. als ich einen Lepra-Kranken in Paris küsse und er sofort gesund wird. 

Viele Wunder geschehen jedoch im Verborgenen. Manche auch in meiner Abwesenheit. So wird die an Malaria erkrankte Tochter eines römischen Präfekten gesund, als man ihr einen meiner Briefe auf die Brust legt. Oft verwende ich auch Salböl. Auf diese Weise wird sowohl ein stummes Mädchen als auch ein gelähmtes Mädchen geheilt. Bei alledem geht es mir immer um den einzelnen Menschen. 

Auch die Missionierung der heidnischen Bevölkerung ist mir ein Anliegen und meine ärztliche Hilfe ist Teil meiner Missionsstrategie. Manchmal kommt es zu heftigen Konfrontationen. Die großteils heidnische Bevölkerung verhält sich skeptisch bis feindselig, und Christen müssen sich manchmal verstecken. Mehr als einmal kann ich die Bevölkerung durch eine Predigt besänftigen. Immer wieder erleben wir Gottes Bewahrung und seine Antwort auf unser Beten und Fasten. So fällt ein heiliger Baum beim Fällen nicht auf mich, obwohl ich direkt in der Falllinie stehe. Wann immer möglich sorge ich dafür, dass heidnische Heiligtümer zerstört werden und an ihrer Stelle rasch christliche Bauten, Kirchen und Klöster, errichtet werden. Das mag im 21.Jhd. vollkommen inakzeptabel sein. Aber am Beginn der Christianisierung sind solche „Power Encounter“ (Begegnungen mit den unsichtbaren Mächten anderer Religionen) keine Seltenheit.

Leider gibt es auch Auseinandersetzungen innerhalb der Kirche. Zu meiner Zeit sind das unter anderem die Priscillianisten, die Kontroversen auslösen. Auch ich befürworte ihre extreme Form der Askese eigentlich nicht. Jedoch befürchte ich, dass der verständliche Widerstand gegen solche Strenge auch zu einer negativen Haltung gegenüber anderen Formen der Askese führt. Genauso kann ich die Einmischung des Kaisers in kirchliche Angelegenheiten nicht hinnehmen. Also reise ich zum Kaiser nach Trier, um mich für Bischof Priscillian von Ávila einzusetzen. Doch entgegen der kaiserlichen Zusage wird Priscillian leider nach meiner Abreise trotzdem zum Tode verurteilt. 

Die schwierigste und schmerzhafteste Auseinandersetzung erlebe ich mit meinem Ziehsohn Brictius. Viele seiner Angriffe vermitteln mir den Eindruck, als ihn Dämonen reiten. Trotzdem vergebe ich ihm und empfehle ihn sogar als meinen Nachfolger. Schließlich hat Jesus auch einen Judas ertragen. 

Schlussendlich sterbe ich als erster Heiliger und Nichtmärtyrer (auch Bekenner-Heiliger genannt). Mich stört das weniger als manche meiner Weggefährten. Auch wenn mein Biograf Sulpicius Severus versucht, es so darzustellen – ich bin nicht der vollkommene Heilige. 

Was ist mein Vermächtnis für das 21. Jhd.? Meinen Mitmenschen in allen Auseinandersetzungen und Meinungsverschiedenheiten mit Barmherzigkeit, Vergebung und Wertschätzung begegnen, den Einzelnen sehen und das Beste von anderen annehmen, selbst wenn sie sich verhalten, als würden sie von Dämonen geritten werden. 

Steckbrief

Geboren: um 316/317 in Savaria, Ungarn, später wohnhaft in Ticinum (= Pavia), Italien

Beruf: römischer Soldat, wie sein Vater; später Exorzist, Mönch, Bischof, Missionar

gründet 361 in Ligugé das erste Kloster des Abendlandes, 370/1 Bischof von Tours

Gestorben: 8. November 397 in Candes bei Tours

Gedenktag: 11. November

Attribute: Bettler oder Krüppel, Bischofstracht, Buch, Gans, Kirchenmodell, Mantel mit Schwert zerteilend, auf Pferd reitend, römische Soldatentracht

Zitat

„Nicht der Kopf muß zerbrochen werden, um in der Wahrheit weiter zu kommen, sondern das Herz.“

Martin von Tours