Verbundenheit und Zufriedenheit
Gestern Abend nahm ich am revidierten Verbundenheits- Modul vom Life-Model Programm teil. Es wurde von Dr. Jim Wilder unterrichtet und ich fand es sehr hilfreich.
Zwei Punkte sind mir besonders aufgefallen:
1. Es ist wichtig, Verbundenheit zu schaffen, nicht danach zu suchen, oder es von anderen zu erwarten.
Verbundenheit zu schaffen ist etwas, das Babys sehr gut können (möglicherweise wegen ihrer bedingungslosen Annahme?) Am anderen Ende des Spektrums sind die Ältesten (damit meinen wir Personen mit einem besonders hohen Niveau von Reife, das gehört zur Terminologie vom Life-Model) die das auch sehr gut können, weil sie alle in die Verbundenheit mit einschließen wollen. Das hängt weder von ihrem Alter ab, noch davon ob sie Christen sind oder nicht, sondern von ihrem Reifegrad. Wir fühlen uns automatisch zu diesen Menschen hingezogen und genießen es, mit ihnen zusammen zu sein. Die Herausforderung ist jetzt, nicht Menschen zu suchen, die dies für uns tun können, sondern zu Menschen zu werden, die dies für andere tun können.
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Wie erzeugen wir Verbundenheit?
Das überlappt sich Großteils mit den Richtlinien für die Gruppen-Interaktion in dieser Klasse:
○ Zufriedenheit und Anerkennung zeigen
○ Nicht drein reden oder an einander vorbei reden
○ Keine Ratschläge geben
○ Anteilnehmend zuhören
○ Vertraulichkeit wahren
○ Raum geben für unvollkommene Versuche, etwas Neues zu tun (das sind meine eigenen Worte, denn ich erinnere mich nicht, wie Jim es genau formulierte).
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Verbundenheit zu schaffen ist Arbeit.
Ich muss daran arbeiten, andere Menschen in meiner Nähe zu haben und einander Anerkennung zu zeigen. Ich möchte auf jeden Fall lernen, das besser zu machen.
2. Zeigen von Anerkennung und Zufriedenheit: Wenn wir die Taschenlampe (Fokus) auf positive Dinge richten, schaffen wir Verbundenheit. Wenn wir uns auf negative Dinge konzentrieren, schaffen wir keine Verbundenheit.
Oder wie Phil 4,8 das ausdrückt:
Richtet eure Gedanken auf das, was schon bei euren Mitmenschen als rechtschaffen, ehrbar und gerecht gilt, was rein, liebenswert und ansprechend ist, auf alles, was Tugend heißt und Lob verdient. (GNB)
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Geschichten erzählen erzeugt Schalom (Hebr. lit. Frieden und Ruhe), ein Zustand, in dem sich alles richtig anfühlt und nichts geändert werden muss; alles ist im richtigen Verhältnis, am richtigen Platz, in der richtigen Stärke, in der richtigen Menge, sowohl für Gott als auch für Menschen und Tiere.
- Geschichten erzählen schafft Zufriedenheit. So übten wir, Zufriedenheits-Geschichten zu erzählen. Gestern übten wir und erzählten einander eine Geschichte, wo wir einen Ältesten schätzen gelernt hatten. Bis zum folgenden Abend war es unsere Hausaufgabe, weitere Zufriedenheits-/Anerkennungs-Geschichten zu sammeln und zu üben, diese zu erzählen.
Beide, a) die Wichtigkeit, Verbundenheit zu schaffen und b) die Tatsache, dass das Konzentrieren auf negative Dinge keine Verbundenheit verursacht, waren Aha-Erlebnisse für mich.
a) Ich stellte fest, dass ich häufig erwarte, dass andere auf mich zugehen, besonders wenn ich in einer fremden Umgebung bin oder in einer neuen Gruppe. Ich kann Verbundenheit schaffen und tue das auch normalerweise, wenn ich mich für andere verantwortlich fühle (z.B. bei einer Veranstaltung, einer Sitzung, oder wenn eine neue Person in die Gruppe kommt). In vielen anderen Situationen tue ich es normalerweise nicht, und müsste mich bewusst bemühen, es zu tun. Es kommt nicht von selbst. Ich habe noch viel in diesem Bereich zu lernen. Ich denke, dass die Einsicht von gestern mir hilft, mir dessen bewußter zu sein und nicht auf andere zu warten, damit sie es für mich tun.
Vor kurzem habe ich das in der Praxis erlebt. Ich ging zu einem Wochende für Frauen meiner neuen Gemeinde, wo ich noch fast niemanden kannte. Als ich im Freizeitheim in den Bergen ankam, hing ich herum im Aufenthaltsraum, und war mir nicht sicher was ich tun sollte, nachdem alle anderen jemanden zu kennen schienen. Ich wollte ihre Gespräche nicht unterbrechen. Nach einer kurzen Zeit kam eine Frau auch mich zu und lud mich ein, mich ihrer Gruppe anzuschließen, worüber ich sehr froh war. Die meiste Zeit während des Wochenendes war ich mit dieser gleichen kleinen Gruppe von drei-vier Frauen zusammen; wir saßen häufig am gleichen Tisch oder reservierten Plätze im Auditorium für einander. Erst viel später wurde mir bewusst, dass diese kleine Gruppe vor dem Wochenende noch nicht existiert hatte, sondern das Ergebnis der Bemühungen einer einzelnen Person war, die auf andere zuging, und so Verbundenheit mit Menschen schuf, die sie vorher nicht kannte. Sie kannte kaum jemanden anderes, aber sie ging auf andere zu, und gab ihnen das Gefühl willkommen und integriert zu sein; sie schuf Verbundenheit. Bereits zu dieser Zeit dachte ich mir, dass ihre Situation gar nicht so anders als meine eigene war, und ich hätte das Gleiche tun können. Ihr Verhalten gab mir nicht nur das Gefühl willkommen zu sein, sondern half mir auch, mich unter so vielen unbekannten Menschen zu entspannen, und es löste auch in mir den Wunsch aus, von ihr zu lernen und für andere das Gleiche zu tun.
b) Da wo ich aufwuchs, war die allgemeine Einstellung, dass, wenn etwas ok ist, man es nicht extra zu erwähnen braucht. Daheim wurde oft nur das erwähnt, was nicht ok ist, damit es korrigiert werden kann. Daher empfinde ich auch diesen bejahenden Unterrichtsstil, den ich häufig bei Amerikanern beobachte, als sehr ungewohnt.
In einem Workshop über Zwischenmenschliche Fähigkeiten sagte ich zu meinen amerikanischen Kollegen: „Wenn ihr in eurem Feedback nur das erwähnt, was ich richtig gemacht habe, und denke, dass ich verstehe, dass die Dinge, die ihr nicht erwähnt habt, jene sind die ich verbessern sollte, dann ist es sehr wahrscheinlich, dass ich es nicht kapieren werde. Man muss mir direkt sagen, was nicht okay ist, und was geändert werden muss.“ Jetzt, nachdem ich mehrmals in den USA war, habe ich mich sehr an diese ermutigende Art des Feedbacks gewöhnt und mag es durchaus. Manchmal sogar so sehr, dass ich unangenehm berührt reagiere, wenn eine Korrektur in der direkten (und häufig rauhen) Weise des Herausstreichens von negativen Dingen passiert, mit der ich aufwuchs. Trotzdem frage ich mich manchmal, wie viel davon einfach kulturell ist und daher nur auf Amerikaner zutrifft.
Als Jim Wilder gestern Abend sagte, dass das Konzentrieren auf negative Dinge keine Verbundenheit schafft, hatte ich einen Aha-Moment. Tief in mir wusste ich, dass das stimmt, gleichgültig in welcher Kultur, selbst wenn es auf unterschiedliche Weise ausgedrückt wird. Jeder Mensch benötigt Annahme und Verbundenheit, und das Unterstreichen der Fehler des anderen erreicht normalerweise genau das Gegenteil – es baut Mauern auf.
Ich erhielt direkt danach eine praktische Lektion: nachdem ich meine Geschichte erzählt hatte, kritisierte meine Nachbarin, dass ich einen Punkt für eine gute Zufriedenheits-Geschichte ausgelassen hatte. Ich fühlte mich herabgesetzt und wurde defensiv. Als ich später darüber nachdachte, merkte ich, dass sie die gleiche Sache durch eine ermutigende Frage hätte unterstreichen können, aber durch die Weise, wie sie es gesagt hatte, baute sie eine Wand zwischen uns auf. Wow! Somit ist das definitiv etwas, das ich lernen möchte, zu vermeiden.
Gleichzeitig merke ich, dass es nicht leicht ist, das Gleichgewicht zu bewahren. Als Berater oder Lehrer zum Beispiel, kann ich jemand ermutigen und Anerkennung zeigen, z.B. für den guten Anfang in einem Schreib-Projekt. Aber das wird der Person nicht helfen, herauszufinden, welche Teile noch Verbesserung benötigen. Nachdem ich in einem Kontext aufgewachsen bin, in dem dieses Gleichgewicht selten war, habe ich kaum Vorbilder dafür.
Könnt ihr Beispiele aus eurer eigenen Erfahrung teilen, wo jemand Anerkennung zeigte, und es ihm trotzdem gelang, die Punkte aufzuzeigen, die Verbesserung benötigen? Wie macht ihr selber das?
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