Wo Kunst und Alltag aufeinandertreffen – Marisa Merz.
- Grafit, metallische Farbe, Pastell, Kugelschreiber, Klebeband auf Papier
- Ungebrannter Ton, Reißnägel, Kupferdraht, Blattgold
- Nylonfaden, Stricknadeln
- Nylonmull, Eisen, Stein
- Grafit, Pastell, Kupfer auf Papier
- Kupfergewebe, Farbe, Grafit, montiert mit Reißnägeln auf Holz
- Mischtechnik auf Papier, montiert auf Holz, Eisen- und Kupferrahmen, Balken, Wachs
Diese ungewöhnlichen Zutaten sind die Materialien der italienischen Künstlerin Marisa Merz (geb. 1926 in Turin, Italien). Sie ist die einzige weibliche Vertreterin der Protestbewegung Arte Povera („arme Kunst“).
Die Künstler dieser Bewegung kamen meist aus Rom und Norditalien in der zweiten Hälfte der 1960er und der 1970er Jahre und verwendete als Kunstobjekte „arme“ Materialien, die oft aus dem Alltag stammen. Damit protestierten sie gegen Vorgaben und Einschränkungen der Kunstwelt.
Ursprünglich hat Marisa Merz Architektur studiert und in dieser Zeit ihren Mann Mario Merz (1925 – 2003) kennengelernt. Er ist einer der Hauptvertreter der Arte Povera. Marisa zeigte seit 1967 ihre Arbeiten in Turin, dem Geburtsort von Fiat und der Protestbewegung Arte Povera.
Obwohl Merz die Einheit von Kunst und Leben vielleicht am radikalsten artikuliert, erhalten ihr Werk sowie ihr Einfluss erst relativ spät internationale Anerkennung. (Pressetext)
2013 wurde sie mit dem Goldenen Löwen auf der 55. Biennale di Venezia für ihr Lebenswerk geehrt und als Neunzigjährig in New York und Los Angeles in Ausstellungen präsentiert. Derzeit sind ihre Werke aus fünf Jahrzehnten in den großzügigen Räumen des Salzburger Museum der Moderne am Mönchsberg zu bewundern, unter dem passenden Titel „Il cielo è grande spazio / Der Himmel ist ein weiter Raum“.
Künstlerin, Frau und Mutter
Das erste Werk „Lebende Kreatur 1966“ entstand in ihrer Küche aus Aluminium. Allerdings nicht aus Aluminiumfolie. Eher die Art Aluminium aus der man früher die Dunstabzüge machte. Und daran erinnert die Skulptur auch. Wenn man vor der riesigen Skulptur steht, kann man sich kaum vorstellen wie sie in einer Küche „gewachsen“ ist. War die Küche wirklich so groß?
Anderseits kann ich mir gut vorstellen, wie sie zwischen verschiedenen Hausarbeiten daran Hand anlegte und jeden Tag ein kleines Stück weiter machte. Eine Herausforderung die viele künstlerische Mütter kennen – wo kriege ich zwei Minuten Kreativität unter, damit sie während der Jahre der Kindererziehung nicht verkümmert?
Alles hatte die gleiche Priorität, Bea [ihre Tochter], die Dinge, die ich genäht habe; ich hatte für alles die gleiche Verfügbarkeit. (Marisa Merz)
Merz hat damit Kunst und Alltag in radikalster Weise miteinander kombiniert und artikuliert.
Diese Ansatz führte zu einer unglaublichen Vielfalt von künstlerischen Werke – von gestrickten Figuren und Buchstaben, zu Netzen die wie Schiffssegeln angeordnet sind; von Stoffblumen am Boden zu mixed media Zeichnungen; von viele kleine Skulpturen zu riesigen Gemälden, die mit Drahtfäden, Pinnwandnadeln und quadratische Topfreinigern zu dreidimensionalen Skulpturen wurden.
Marisa Merzs roter Faden ist Kupferdraht
Ein Thema, das sich wie ein roter Faden auf mehreren Ebenen durchzieht sind Gesichter. In vielen der Malereien mit Grafit und Mischtechnik und den kleinen Skulpturen erkennt man menschliche Gesichter, Köpfe oder engelhafte Wesen.
Dazu kommen zwei weitere rote Fäden ihrer Kunst, die sie wohl am meisten faszinierten und die sie meisterhaft miteinander verbindet.
- Zum einen metallene Elemente: das Aluminium der ersten Skulptur, Metallfarbe und Grafit auf dem Papier, Metallstäbe als Mast, Kupferdraht, Nägel, Eisenrahmen, Spiegel, ein Brunnen aus Blei.
- Zum anderen Netze: die Schiffssegel aus Netzen, eine Blume aus Nylonmull, gestrickte oder gewebte Figuren, Schuhe, Buchstaben, usw.
Die Kombination der beiden Themen oder Faszinationen potenzieren sich in den vielen Kupferdrahtgeweben, die sie verwendet hat. Am häufigsten verwendet Merz Kupferdrahtgewebe in der Größe von quadratischen Topfreinigern. Ob sie die wohl von echten Topfreinigern abgelöst hat? Da viele ihrer Werke nicht datiert sind, kann man schwer sagen, wann sie aufhörte echte Topfreiniger zu verwenden. In ihren späteren Werke verwendete sie eher großformatige Kupferdrahtgewebe. Aber diesem roten Faden blieb sie treu.
Das Werk von Marisa Merz in dem sie Kunst und Alltag verbindet, spannt einen großen Bogen – von der Enge der Küche in der ihr erstes Werk, die „Lebende Skulptur“ wucherte, bis zur Weite die sie und ihre Werke im Museum der Moderne Salzburg erleben. „Il cielo è grande spazio / Der Himmel ist ein weiter Raum“.
Als jemand der die Weite liebt, freue ich mich mit ihr.
Auszug aus dem Pressetext
Das Museum der Moderne Salzburg feiert die 1926 in Turin, Italien, geborene Künstlerin Marisa Merz mit einer fünf Jahrzehnte umfassenden Werkschau. In einem Zusammenspiel ihrer Rollen als Künstlerin, Frau und Mutter entwickelt Merz in den 1960er-Jahren eine unverwechselbare künstlerische Sprache. In für die bildende Kunst unkonventioneller Form verarbeitet sie überwiegend weiche Materialien, wie Aluminium, Kupferdraht, Nylon, Wachs oder ungebrannten Ton. Die Künstlerin versteht ihre Werke nicht als autonome Objekte, die sich chronologisch entwickeln, sie betitelt nur wenige und lässt die meisten auch undatiert. Vielmehr wiederholt und transformiert sie Formen und Werkteile in wechselnden Arrangements.
Marisa Merz gilt als einzige weibliche Vertreterin der Arte Povera, zu deren Kreis auch ihr Ehemann Mario Merz (1925 Mailand, IT – 2003 Turin, IT) zählt. Die Poveristi, für deren Arbeiten 1967 der Begriff geprägt wurde, treten ausgehend von Genua, Turin und Rom mit der Verwendung von „armen“ und alltäglichen Materialien hervor. Nachdem ihre monumentale Aluminiumarbeit „Living Sculpture“ (Lebende Skulptur, 1966) zuvor in ihrer Wohnung Gestalt angenommen hatte und dort gewachsen, geradezu gewuchert war, stellt Marisa Merz diese im darauffolgenden Jahr 1967 in Turin erstmals öffentlich aus. Obwohl Merz die Einheit von Kunst und Leben vielleicht am radikalsten artikuliert, erhalten ihr Werk sowie ihr Einfluss erst relativ spät internationale Anerkennung.
Die Ausstellung läuft von 25. Mai – 4. November 2018 im Museum der Moderne, Mönchsberg, Salzburg.
Dieser Eintrag ist Teil der Serie „Kunst im Blog„, die während eines Workshops an der Internationalen Sommerakademie Salzburg begonnen wurde.