Kulturkirche Bremen – Interview mit Diemut Meyer
Pastorin, Leiterin und Geschäftsführerin der Kulturkirche Bremen.
[Anlässlich eines Workshops der Internationalen Summeracademy in Salzburg zum Thema „Kunst im Blog“ traf ich Diemut Meyer aus Bremen. Dieses Interview entstand während dieses Workshops. Es war so interessant mit Diemut über die Kulturkirche Bremen zu sprechen, dass das ganze Interview sehr lang wurde; zu lange für eine Blogeintrag. Hier ist also Auszug aus dem Interview.]
Was ist eine Kulturkirche?
Die Kulturkirche St. Stephani Bremen ist die drittälteste Kirche Bremens und fast 900 Jahre alt. 2007 stand die St. Stephani Gemeinde vor der Frage, wie sie mit der großen Kirche angesichts einer immer kleiner werdenden Gemeinde umgehen soll. Da die Gemeinde sich schon immer viel mit Kunst und Kultur befasst hat, entstand die Idee, das Hauptschiff der Kirche als Kulturkirche zu nutzen. Unter dem Motto „Kirche macht Kultur – Kultur macht Kirche“.
Welche Aktivitäten finden darin statt?
Die Kulturkirche ist nach wie vor eine richtige Kirche und ein Ort der Verkündigung mit dem besonderen Auftrag die Inhalte, Werte und existenziellen Themen der Botschaft des Evangeliums in den Dialog mit der Kunst, Kultur und der Musik einzubringen.
Auf diesem Fundament betreiben wir Kultur in der Kirche – mit den drei Sparten Wort, Kunst, Musik. Nach wie vor ist der Gottesdienst das zentrale Element der Verkündigung. Nur dass die Themen halt anders sind: wir greifen in den Kulturgottesdiensten Themen aus der Musik, aus Filmen und der bildenden Kunst auf. Sie haben immer ein bestimmtes Thema. Und so setzt sich unsere Gottesdienstgemeinde immer wieder neu zusammen.
Das Kulturkirchenprogramm wird von Herrn Günther, dem A-Kirchenmusiker an der Kulturkirche, und mir gestaltet. Herr Günther ist für das Musikprogramm verantwortlich, ich für die Kunstausstellungen und die Wortveranstaltungen. Herr Günther leitet unsere große Kantorei, die Bremer Kantorei St. Stephani mit über 60 Sängerinnen und Sänger, die ein eigenes Repertoire und Konzertprogramm erarbeiten, aber er lädt auch Gäste ein, die dann bei uns konzertieren, mit einem sehr breiten Spektrum.
Veranstaltungen in der Sparte Kunst
Zusammen mit dem Kunstausschuss der Kulturkirche konzipieren wir drei Kunstausstellungen pro Jahr. Eine der Ausstellungen ist immer von unserem aktuellen Kunststipendiaten. Das ist eine wunderbare Einrichtung der Bremischen Evangelischen Kirche, dass sie jedes Jahr einen Künstler mit einem Stipendium 10 Monate lang fördert. Sozusagen einen artist-in-residence. Und am Ende seiner Förderung steht immer eine Ausstellung. Mit Begleitprogramm natürlich. Es bewerben sich auch viele Künstler bei uns und dann entscheiden wir im Kunstausschuss, was wollen wir zeigen.
Das Kunststipendium und andere Ideenwettbewerbe schreiben wir lokal aus – das heißt im Jargon dann „Bremen und Umzu“. Bremen und 50km drum herum. So stärken wir den Standort Bremen, der mit seiner Hochschule für Künste eine große Künstlerszene hat. Damit schließt man manche interessante, nationale und internationale Künstler die auch interessant wären aus, aber das ist eine bewusste Entscheidung, weil die Kulturkirche mit Bremer Kirchensteuergeld finanziert wird, soll es auch Bremer/innen zugute kommen. Bremen hat eben viele Künstler und eine große freie Szene. Ich kenne viele inzwischen persönlich sehr gut und ich weiß, dass viele in prekären Verhältnissen leben. Da ist ein Kunststipendium mit einer stabilen Finanzierung für 10 Monate sehr willkommen.
Veranstaltungen in der Sparte Wort
Neben den besonderen Kulturgottesdiensten laden wir ein zu Vorträgen mit aktuellen ethischen Themen. Seit 2016 gibt es bei uns jährlich den Poetry Preacher Slam – da treten vier Poeten gegen vier Pastoren an. Immer zum Thema der aktuellen Kunstausstellung – das ist ein tolles Format.
Ein weiteres Wortformat ist der Blickwechsel, der Dialog von Theologie und Theater. Das ist eine Kooperation mit dem Theater Bremen. Wir haben ein vier Spartenhaus in Bremen: Musik, Theater, Schauspiel, Tanz oder aus dem Jugendbereich – zu aktuellen Stücken gehen ein Theologe/eine Theologin und ein Dramaturg/eine Dramaturgin in Dialog.
Die Kulturkirche liegt am Rande der Altstadt, direkt am Fluss Weser und die Kirche steht auf einer Sanddüne. Sie ist mit 10 Metern die höchste Erhebung weil Bremen so platt ist – das ist für jemand in Österreich sehr lustig. Wie gesagt, die Kirche liegt an der höchsten Stelle und es ist eine alte Wasser- und Schifferkirche und so findet das Thema Wasser auch in unseren Kirchenfenstern Resonanz. Deswegen haben wir was gemacht zum Thema Bo(o)tschaften – die Kirche sendet Botschaften. Das war eine Kunstausstellung mit Leihgaben. Wir sind gezielt auf fünf Künstler zugegangen, von denen wir wussten, dass sie was zum Thema Wasser erarbeitet haben. Das war unsere Sommerausstellung.
Du bist seit vier Jahren als Theologin dort tätig. Hast du auch einen künstlerischen Hintergrund?
Ich habe eine musikalische Ausbildung. Seit meinem 10. Lebensjahr spiele ich Klavier, habe als Schülerin in der Stadtkantorei Bochum gesungen und bin ausgebildete c-Kirchenmusikerin (Organistin und Chorleiterin) im Nebenamt. Durch mein Elternhaus wurde ich gefördert und habe mich schon in meiner Schulzeit mit darstellender und bildender Kunst beschäftigt. Museums-und Theaterbesuche waren ein Muss in meiner Kindheit und Jugendzeit.
In meinem beruflichen Werdegang als Theologin kam eine journalistische Ausbildung und eine Ausbildung als Fundraising Managerin. Ich war lange an in der Medienarbeit der Evangelischen Kirche im Rheinland tätig, bevor ich nach Bremen gekommen bin. Die beiden Zusatzausbildungen kommen mir in der Leitung der Kulturkirche zu Gute. Das eine ist sich gute Inhalte und Ausstellungen zu überlegen, und das andere ist wie komme ich mit diesen Themen in die Öffentlichkeit und zwar auf allen analogen und digitalen Kanälen. Ohne Öffentlichkeitsarbeit geht es nicht.
Mein Auftrag ist auch, mich in die Kulturöffentlichkeit der Stadt hinein zu vernetzen. Das gelingt zum einen durch unseren Kunstausschuss in dem Vertreter der renommierten Museen sitzen. Das ist natürlich auch ein großes Glück für uns. Das muss man mit aller Klarheit sagen. Ich bin Theologin und keine Kunsthistorikerin, und ich finde es gut, dass wir aus unterschiedlichen Perspektiven überlegen welche Themen und Ausstellungen wir zeigen möchten. Im Kunstausschuss arbeiten mit z.B. die Stellvertretung der Direktion des Gerhard-Marcks-Hauses, die Leiterin der städtischen Galerie, ein Professor von der Hochschule für Künste und ein freier Kunsthistoriker, der viele Ausstellungen der Kulturkirche als Kurator begleitet.
Was ist in nächste Zeit geplant?
Ab 11. Oktober zeigen wir die Ausstellung „Gruppenbild – 25 Jahr Guiton„. Anlässlich der Emeritierung von Jean-François Guiton, Professor an der Bremer Hochschule für Künste im Atelier für Zeitmedien, präsentiert die Kulturkirche St. Stephani Bremen, die Ausstellung Gruppenbild. Zu sehen sind zahlreiche Videos, Installationen, Fotos, Skulpturen, Zeichnungen und Musik-Performances von 70 ausgewählten Studentinnen und Studenten aus den 25 Jahren seiner Lehrtätigkeit.
Das ist noch mal spannend weil das eine Ausstellung mit Videos und Neuen Medien ist. Sonst haben wir oft den Schwerpunkt auf der Malerei oder der Bildhauerei.
Die Kulturkirche will durch die Kunst Menschen mit der Botschaft erreichen. Wie ist so die Resonanz?
Ich merke, dass viele Menschen einen ganz starken Hunger nach Spiritualität und nach der Auseinandersetzung mit biblischen Inhalten haben und dann denke ich, es ist eine Frage wie man es „verpackt“, wie man das präsentiert, weil viele denken auch, Kirche ist verstaubt. Dabei ist für mich die Bibel das spannendste Buch überhaupt. Mit den allerspannendsten Geschichten der Existenz Gottes und der Menschen. Selbst Berthold Brecht als Atheist hat ja gesagt, auf die Frage was sein Lieblingsbuch ist: „Sie werden lachen, die Bibel“. Es ist die Aufgabe der Theologie die Geschichten und die Themen, in eine Form zu bringen, dass das Menschen heutzutage auch anspricht. Ich merke immer wieder, dass viele Leute außerhalb der Kirche auf mich zukommen, die gerne mit mir zusammenarbeiten wollen. Ich sehe es als ein Zeichen, dass die Kulturkirche und die Inhalte für die wir stehen im Moment viele Menschen interessiert.
Erlebst du auch negative Reaktionen, Vorurteile, Kritik?
Was wir als Theologen und Theologinnen merken, je weiter die Leute von der Kirche weg sind, um so ältere Bilder oder falsche Bilder haben sie was die Inhalte und Rituale der Kirche sind. Manchmal denke ich, das sind Bilder aus den 50er Jahren, z.B. im Bezug auf die Inhalte und die Ethik für die wir einstehen, oder wie eine Pastorin aussieht, dass jemand wie ich völlig im Leben steht und Lebensfreude hat und auf die Leute zugeht. Da sind schon mal viele Leute überrascht. Naja, und viele haben immer wieder Angst, dass sie von der Kirche vereinnahmt werden. Ich verstehe mich als Theologin, die in den Dialog geht, nicht als jemand die anderen die Botschaft mit der Bratpfanne überbrät. Das wollen die Leute auch nicht; davor haben die Leute Angst. Und das ist berechtigt, denn da ist ja auch vieles nicht gut gelaufen: dass Leute eingeschüchtert wurden, dass ihnen Schuld angerechnet wurde, dass sie mit Angst behaftet wurden. Für mich ist die Botschaft etwas das uns frei macht von den Fesseln und nicht uns knechtet in kleine moralische Nichtigkeiten.
Das ist für mich auch wichtig, ein liebevoller Umgang, ein wertschätzender Umgang, ein Umgang, dem man spürt, hier wird jede Person angesehen, egal was sie für einen Hintergrund hat. Ich frage nicht: „Bist du evangelisch?“ In den vier Jahren in denen ich viele Ehrenamtliche gewonnen habe, ist eine einzige Frau abgesprungen und alle anderen sind geblieben. Das ist ja dann auch ein Zeichen! Wenn man sich nicht gesehen und nicht angenommen fühlt, dann gibt es eine hohe Fluktuation.
Was mir auch sehr wichtig ist, das Thema Gastfreundschaft. Großzügigkeit und Gastfreundschaft ist für mich eine ganz gute christliche Eigenart, die man immer noch mehr befeuern und fördern sollte. Eine gute Gastgeberin sein, darin arbeiten wir als Kulturkirche.
Ist dir schon begegnet, dass die Leute meinen, Kunst und Glauben passe nicht zusammen?
Also es gibt natürlich Künstler die sagen, ich kann mit dem Glauben und der Kirche nicht so richtig etwas anfangen. Im Reformationsjahr hatten wir eine ganz große Ausstellung und haben im Vorfeld einen Ideenwettbewerb zum Thema „500 Jahre Reformation – erneuern-wandeln-überschreiten“. Bei dieser Reformationsausstellung hatten wir ein offenes Atelier in der Kirche. Auf vier großen Rollgerüsten haben die Künstler acht Wochen Tag und Nacht in der Kirche gearbeitet. Es verändert die Menschen, wenn sie in einem großen, erhabenen Raum arbeiten. Die Künstler würden es zwar nicht als Glauben bezeichnen, aber sie erleben Transzendenz; dass da etwas ist, was über das Menschliche hinausgeht. Das spiegeln mir einige Künstler. Es verändert sie, wenn sie in der Kirche Kunst entwerfen und auch ihre Kunst umsetzen. Das ist sehr spannend.
Das ist wirklich spannend! Vielen Dank für das Interview.
Ich sage auch Danke!